Freitag, 7. Februar 2014

Quis custodiet ipsos custodes?

Es ist das Jahr 1985. Edward Blake, der Comedian, wird ermordet.
Einst war er Mitglied der Superhelden-Truppe "Watchmen", die in den 40ern und 60ern auftauchten und den USA dabei halfen, den Vietnamkrieg zu gewinnen. Sie besaßen keine besonderen Kräfte: nur den Willen, ihrem Land zu dienen. Jetzt, Jahre später, trudelt die Welt einem Atomkrieg zwischen Ost und West entgegen. Die kostümierten Wächter von damals sind alt geworden, ihre Nachfolger sind nach dem Keene-Akt 1977 verboten und geächtet, und die meisten haben sich entweder zurückgezogen oder arbeiten für die Regierung.
Rorschach, der als Einziger weiterhin im Untergrund das Verbrechen bekämpft, vermutet einen Plot zur systematischen Auslöschung der ehemaligen Watchmen hinter Blakes Tod, stößt damit aber bei seinen früheren Kameraden auf Ablehnung und Unglauben. Nur Daniel Dreiberg alias Nite Owl II zweifelt nach weiteren Vorfällen. Gemeinsam beginnen sie zu ermitteln und entdecken eine Verschwörung, die alles Dagewesene in den Schatten stellt.

Watchmen, geschrieben von Comic-Guru Alan Moore, gezeichnet von Dave Gibbons und koloriert von John Higgins, wird im Allgemeinen als das beste Comicbuch aller Zeiten angesehen und fand sogar seinen Platz in der Liste der Times als einer der 100 besten Romane seit 1923. 2009 erschien Zac Snyders erstklassige Verfilmung - aber selbst die kann der schieren Größe der Vorlage nicht das Wasser reichen.

Watchmen ist dunkel. Die Farben sind kalt und steril, die Helden gebrochen und korrupt, der Hintergrund des Kalten Krieges apokalyptisch und verzweifelt. Moore stellt Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Was ist nobler? Seinen Prinzipien bis zum bitteren Ende treu zu bleiben oder den Zeitpunkt zu erkennen, an dem man sich beugen muss? Was ist mutiger? Sein eigenes Leben zu geben oder in einer künstlichen Welt weiter zu existieren? Die handelnden Personen sind ebenso verloren wie der Leser in einer Umgebung, die sie wie Schachfiguren hin- und herschiebt, wie es ihr gefällt. Moores Version des Superhelden-Mythos ist eine pessimistische und nihilistische. Er schreibt über ein zerrissenes Amerika im Angesicht des drohenden Armageddons, in dem keiner mehr weiß, welche Rolle er im großen Ganzen spielt. Die Wächter stellen keine Ausnahme dar - die Aufbruchsstimmung ihrer Anfangszeit ist nach der Konfrontation mit der harten Realität der desillusionierten Resignation gewichen.

Keiner der Helden verdient diese Bezeichnung. Wer ist der tugendhafteste? Dreiberg, der ewig Zögernde und Unentschlossene? Sally Juspeczyk alias Silk Spectre II, die orientierungslos durch ihr Leben treibt? Jon Osterman alias Dr. Manhattan, der nach einem Reaktorunfall zu einer gottähnlichen Gestalt wurde und dabei jegliche Empathie und jedes Interesse an der Menschheit verlor? Adrian Veidt alias Ozymandias, dessen Ehrgeiz von nichts als seiner Arroganz und Eitelkeit getrieben ist? Edward Blake alias der Comedian, ein Vergewaltiger und Sadist? Oder Walter Joseph Kovacs alias Rorschach, ein Psychopath, der die Welt passend zu seiner Maskierung in Schwarz und Weiß aufteilt und kompromisslos gegen jeden vorgeht, der seinem strengen Moralkodex nicht entspricht?
Selbst der ehemalige Schurke Moloch The Mystic ist nichts mehr als ein krebskranker, gebrechlicher Mann.
Es gibt keine strahlenden Ritter in Moores New York City. Nur Menschen.

Tatsächlich ist es am ehesten Rorschach, der unserer klassischen Definition des Helden entspricht. Denn bei aller Brutalität, allem Wahnsinn, aller Skrupellosigkeit ist er doch ein Idealist, der überzeugt ist, das Richtige zu tun und niemals nachgibt. Es gibt keine Kompromisse für Rorschach - was er beginnt, bringt er zu Ende. Damit erscheint er uns inmitten all der hilflosen Marionetten als der Einzige mit Rückgrat, als aussichtsloser Kämpfer gegen den allgemeinen Zynismus. Es ist eine der größten Leistungen Moores, einen derart derangierten Charakter, einen Mörder, der nicht vor Folter zurückschreckt, als den sympathischsten und nachvollziehbarsten aller Protagonisten darzustellen.

Es ist ein Dilemma: ohne mehr von der Handlung zu erklären, kann man die Faszination, die die Watchmen ausüben, kaum verständlich machen - und wenn man näher auf die Geschichte eingeht, dann verliert das Buch einen seiner größten Reize. Moores Comic ist gespickt mit Anspielungen auf amerikanische Pop-Kultur, Politik und Geschichte - zumindest rudimentäre Kenntnisse davon wären also von Vorteil. Im Zusammenspiel mit der makellosen grafischen Umsetzung entsteht eine Atmosphäre, die ihresgleichen sucht.
Moore zieht seinen gnadenlosen Realismus bis zur letzten Seite durch. Und wenn man die dann schließt und einmal tief durchatmet, merkt man, dass ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Denn es fühlt sich nicht richtig an. Aber es kann nicht anders sein.

Alles andere als die Höchstwertung für dieses Meisterwerk wäre eine Farce. Die Watchmen müssen sich weiß Gott nicht vor den großen Klassikern der Literatur verstecken - es gibt nichts, aber auch gar nichts, was ich kritisieren könnte oder wollte.
Es ist eine wohlverdiente Premiere auf diesem Blog: 10 / 10 Punkten!


My name is Ozymandias, king of kings:
Look on my works, ye Mighty, and despair!

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