Sonntag, 15. Dezember 2013

She likes to move it

Carrie White ist eine Außenseiterin: ihre hyperreligiöse Mutter hat immer schon ihr Bestes gegeben, um ihr Selbstvertrauen zu zerstören, und ihre Mitschülerinnen - allen voran die eiskalte Chris Hargensen - machen sich über sie lustig, weil sie altmodische Kleider trägt und kaum je ein Wort mit irgendjemandem spricht. Eines Tages bekommt Carrie in der Dusche nach dem Sportunterricht ihre erste Periode. Sie weiß nicht, was vorgeht, und fleht die anderen Mädchen panisch um Hilfe an - aber die lachen sie nur aus und bewerfen sie mit Tampons. In dieser Demütigung zeigt Carrie zum ersten Mal ihre telekinetischen Kräfte - die scheint sie aber nur zu besitzen, wenn sie wütend ist.

Eigentlich steht Kimberly Peirces Horrordrama schon mal prinzipiell unter einem schlechten Stern: es ist bereits die dritte Verfilmung von Stephen Kings Klassiker aus den 70ern, und Brian De Palmas Version mit der oscarnominierten Sissy Spacek in der Titelrolle gilt als eine der besten King-Adaptionen überhaupt. Insofern weiß man nicht so recht, wie man Peirces Film einordnen soll: ist es eine Neuinterpretation, ist es eine Hommage, oder kümmert er sich einfach gar nicht um seine Vorgänger und zieht sein eigenes Ding durch?
Schon im Vorfeld gab es die ein oder andere Kontroverse um die Besetzung der Hauptrolle, denn Chloe Grace Moretz - eine natürliche Schönheit - hätte in der Haut des hässlichen Entleins leicht deplatziert wirken können. Diese Hürde nimmt die aus Kick-Ass 1 & 2 bekannte Schauspielerin aber mit Bravour. Ihre Carrie ist so völlig hilflos und ausgeliefert, dass man gar nicht anders kann, als mit ihr zu leiden und sich ob ihres kurzzeitigen Triumphs mit ihr zu freuen. Sie macht Carries inneren Kampf mit sich selbst fühlbar. Wenn man Moretz irgendetwas würde anlasten wollen, dann, dass ihre teuflische Mimik im großen Finale doch ein bisschen gewollt und angestrengt rüberkommt. In den zahlreichen leisen Momenten des Films überzeugt sie restlos.
Über jeden Zweifel erhaben ist dagegen die große Julianne Moore, die als irre-fanatische Mutter mit Hang zur Selbstgeißelung eine wahrhaft beängstigende Figur abgibt. Ihre boshafte Rolle ist ein Highlight des Films und der Katalysator für Carries Wut.
Lobenswert zu erwähnen ist Marco Beltramis ätherischer Soundtrack, der dankenswerterweise auf den üblichen Schmonz verzichtet und die Show auch wirklich den Schauspielern überlässt.

Das Problem an dem Ganzen ist allerdings folgendes: wenn man ins Kino geht, um einen Horrorfilm zu sehen, bei dem man sich erschreckt, sich gruselt, vielleicht sogar fürchtet, dann ist man mit Carrie schlecht beraten. Zu drei Vierteln ist der Film ein Teeniedrama über Mobbing. Das ist schön und richtig und vor allem hervorragend und anrührend gemacht, aber die Relation stimmt nicht: das naja-auch-nicht-so-große Horrorfinale dauert vielleicht eine Viertelstunde und ist weder besonders schockig noch spannend noch unheimlich. Vielleicht wurde hier zu sehr auf eine niedrigere Freigabe spekuliert, vielleicht wollte sich Peirce eher auf alles Vorhergehende fokussieren, jedenfalls wäre ein deutlich düstereres und fieseres Ende ein Segen gewesen. Man erwartet einfach etwas anderes: zumindest bei Kenntnis der Vorlage (oder einfach, wenn man den Trailer gesehen hat) weiß man ja, wie die Geschichte ausgeht, und der Film tut sein Bestes, um Spannung aufzubauen und die Antagonisten möglichst verabscheuenswert zu porträtieren. Da wirkt Carries Abrechnung dann im Nachhinein doch etwas abgekanzelt und das Tempo der Story langatmig und schwerfällig. Hier wäre eine kompromisslosere und ausführlichere Szene nötig gewesen - überhaupt hätte weniger Zurückhaltung und dann eben vielleicht eine Freigabe ab 18 dem Film gut getan.

Ärgerlich ist auch die selten doof-hollywoodeske Schlusseinstellung. Es ist Peirces gutes Recht als Regisseurin, auf De Palmas klassischen Schockmoment zu verzichten, aber man musste es ja auch nicht im Stil von Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen (übrigens besser als sein Ruf) inszenieren. Über die gesamte Lauflänge wirft sie das passende, todtraurige und bitterernste Licht auf Carries Leid, da wirkt so eine Effekthascherei in den letzten Sekunden fast schäbig.

Letztendlich ist Carrie ein akzeptables Drama geworden, mit harmlosem Horror, einigen starken Momenten und so, so viel verschenktem Potential. Es hätte etwas richtig Großes werden können, aber so vergebe ich: 6 / 10 Punkten.